Das Riemann-Thomann-Modell

Ein Tool für Selbstreflexion & Personalentwicklung

Steffen ist Mitarbeiter in einem mittel-ständischen Unternehmen in der Medizin-technik. Er ist als Assistent des Bereichsleiters „Technik“ eingestellt worden. Steffen machen seine Aufgaben viel Spaß und die Themen fordern ihn positiv heraus. Mit seiner Chefin, Frau Berger, hat er ein eher distanziertes Verhältnis.

Die Chefin erzählt eigentlich nie etwas von sich und selbst auf Dienstreisen sprechen sie immer nur über Kunden, Produkte oder das eigene Unternehmen. Es hat lange gedauert, bis Steffen herausfand, dass Frau Berger eine Familie und zwei kleine Kinder hat. Steffen war zwar oft in ihrem Büro oder in ihrer Nähe, aber Nähe hat er deswegen nicht empfunden. Schon oft hatte sich Steffen gefragt, ob er den Job noch lange machen will, denn eines schien klar: eine Chefin, die nicht auch ein bisschen Wärme zeigt, mit der will Steffen auf Dauer nicht zusammenarbeiten.

Neulich im Seminar für Persönlichkeitsbildung, zu dem Steffen zusammen mit anderen Nachwuchskräften des Unternehmens geschickt worden war, hat Steffen verschiedene Persönlichkeitstypen kennengelernt. Da wurde ihm klar, dass sein Bedürfnis nach Gemeinschaft offenbar deutlich ausgeprägt ist – das seiner Chefin aber anscheinend anders gelagert ist. Unmittelbar nach den Seminartagen denkt Steffen ernsthaft darüber nach, die Stelle zu wechseln, denn auf Dauer wird er mit so viel Distanz nicht glücklich. Und je mehr er seit dem Seminar darauf achtet, umso stärker wird Steffens Unbehagen in der Zusammenarbeit mit seiner Chefin. „Ich bin ein Nähetyp“, erklärt Steffen am Abend seiner Freundin Anna beim Essen.

In der kommenden Woche beim Teammeeting, eröffnet die Chefin dem erstaunten Team, dass sie zum Ende des laufenden Monats den Bereich verlassen wird, weil sie das neu gebaute Werk in Schweden als Geschäftsführerin übernehmen wird. Selbst Steffen als ihr Assistent hatte nichts davon mitbekommen. Aber, um ehrlich zu sein, Steffen war nicht sehr traurig, dass sich die Situation auf diese Weise zu lösen schien.

Es ist nun 8 Monate her, dass der neue Bereichsleiter „Technik“ sein Amt angetreten hat. Steffen fand es sofort positiv, dass Karim, sein neuer Chef, ihn als Assistenten behalten hat, weil er Steffens gute Systemkenntnisse weiter nutzen wollte. Die Zusammenarbeit mit Karim ist komplett anders als sie mit Frau Berger war. Karim steht oft in der Tür zu Steffens Büro und wenn die Sachfragen geklärt sind, fragt er noch danach, wie das letzte Wochenende war, ob Steffen wohl den neuen Kinofilm schon kenne oder wie Steffen den Kollegen XY aus der Nachbarabteilung einschätzt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Karim und Steffen nicht gemeinsam in die Kantine gehen und danach noch zu einem Espresso zusammenstehen.

4 Monate nach Karims Amtsantritt sagte Steffen zu Anna, dass er Karim ziemlich anstrengend finde und heute, nach weiteren 4 Monaten fühlt sich Steffen erneut in seiner Position als Assistent des Bereichsleiters unwohl. Karim ist gleichbleibend freundlich, interessiert und zugänglich in der Zusammenarbeit, aber Steffen fühlt sich immer mehr eingeengt und hat den Eindruck, seine Aufgaben kaum mehr eigenständig erledigen zu können, ohne Karim einzubinden. Beim Abendessen sagt Anna zu ihm: „Aber Du hast mir doch erklärt, dass Du ein Nähetyp bist… warum bist Du dann unzufrieden, wenn Dein Chef Dir Nähe bietet?“ Steffen weiß auch keine Antwort.

Im Rahmen seiner Nachwuchskräftetrainings hatte Steffen die Diplompsychologin Ursula Franke, Geschäftsführerin der Firma commma Personalentwicklung GmbH kennengelernt. Steffen nutzt das telefonische Coaching-Angebot von commma, weil er seine Situation besser verstehen möchte.

Das Riemann-Thomann-Modell

Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen kann man im so genannten „Riemann-Thomann-Modell“ finden. Das Modell geht auf den Psychiater Fritz Riemann (1902-1979) und den Schweizer Psychologen Christoph Thomann (*1950) zurück. Das Modell integriert die Grundfragen von Zeit und Raum in einer Beziehung. Zeit ist verbunden mit Berechenbarkeit und der Spannung zwischen Dauer und Wechsel. Raum thematisiert die Abgrenzung, die mit den Polen Distanz und Nähe bezeichnet wird.

Die vier Pole repräsentieren vier Grundstreben menschlicher Persönlichkeit und jede Person hat ein so genanntes Heimatgebiet, d.h. ein Maß an Distanz bzw. Nähe und Dauer bzw. Wechsel, bei dem sich diese Person wohl und zufrieden fühlt. Mit dem Modell kann man die Reaktion von Menschen in bestimmten Situationen besser verstehen und sogar teilweise vorhersagen. Das Instrument dient vorrangig zur Selbstreflexion, kann auch zum Erkennen der Entwicklungspotentiale von Mitarbeitern genutzt werden.

Auf der x-Achse in unserem Modell steht die Spannung der Abgrenzung. Auf der einen Seite findet man die Nähe, d.h. das Bedürfnis nach Kontakt, Wertschätzung, Dialog auf Augenhöhe, Empathie und Menschlichkeit. Auf der Gegenseite findet man die Distanz mit Eigenschaften wie Abstand, Rollenklarheit, Individualität und Objektivität.

Auf der senkrechten y- Achse, der Berechenbarkeit, steht die Spannung zwischen Dauer und Wechsel. Dauer steht u.a. für Stabilität, Klarheit, Struktur, Ordnung, Planung und Regeln. Dauer spiegelt das Bedürfnis nach Routine und Einschätzbarkeit wider. Den Gegenpol bildet der Wechsel. Wechsel repräsentiert u.a. Veränderung, Kreativität, Spontaneität und Überraschung. Wechsel ist offen für Innovation und neue Ideen.

Auch wenn jeder Mensch ein „Heimatgebiet“ hat, das seinen Bedürfnissen am meisten entspricht, so erlebt jeder in der Interaktion mit anderen, dass der eigene Standpunkt relativ ist. Steffen hat in der Interaktion mit einer ersten Chefin, der kühlen Frau Berger, erlebt, dass ihm Nähe und Offenheit in der Zusammenarbeit mehr und mehr gefehlt hat. Durch die Reflexion im Führungsseminar glaubte er, sich als klaren Nähetypen erkannt zu haben. Dass dies aber nicht die ganze Wahrheit ist, wurde klar, nachdem Karim der neue Chef von Steffen geworden ist. Das hat Stefen verwirrt. Das Modell nach Riemann-Thomann erklärt dies mit dem relativen Erleben: Steffen hat in der Führungsbeziehung zu Frau Berger erlebt, dass sein Bedürfnis nach Nähe größer ist als das von Frau Berger. Nähe in der Zusammenarbeit kann aber nur von den beiden Beteiligten gemeinsam gestaltet werden; d.h. nur wenn beide zusammen sind, miteinander sprechen oder sich einander zuwenden, kann Nähe erlebt werden. Und beide Personen gehen aufeinander zu und suchen den Kontakt, solange bis das eigene Bedürfnis nach Nähe gestillt ist. Nachdem Frau Berger für ihre Verhältnisse genug Nähe zu ihrem Assistenten Steffen hatte, hat sie keine weiteren Angebote nach Kontakt mehr gemacht – wozu auch? – ihr Bedürfnis nach Nähe war ja offenbar gestillt, Frau Berger war vermutlich zufrieden. Steffen hingegen hätte gut und gerne noch mehr Kontakt haben mögen. Ganz anders mit Karim: hier funktioniert es bei beiden zuerst sehr gut, weil beide ein deutliches Nähebedürfnis haben. Aber irgendwann ist Steffens Bedarf gedeckt und dann beginnen ihn Karims Nachfragen und das ständige Espressotrinken zu nerven. Plötzlich ist Steffen in der Rolle dessen, der auf Abstand geht und sich etwas kühler gibt.

Jeder kennt die vier Pole in sich selbst

Das innere Team von Schulz von Thun

Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun beschreibt mit seinem Modell vom inneren Team auch ein Team, das aus den vier Mitgliedern Nähe, Distanz, Dauer und Wechsel besteht.

In dieser inneren „Mannschaft“ ist nicht jedes Mitglied bei jedem Menschen gleich stark, sondern es gibt, wie in einem echten Team, unterschiedliche Konstellationen. So kann man sich erklären, wie eine Persönlichkeit im Riemann-Thomann-Modell ihren Platz zugewiesen bekommt. Wenn in der inneren Mannschaft beispielsweise Dauer und Distanz wichtiger sind, dann scheint die Person eher kühl zu sein und möchte Abstand zu anderen halten, sie bemüht sich um Objektivität und blüht bei sorgfältiger Planung, klarer Hierarchiestruktur und individuellem Freiraum auf. Im Gegensatz dazu schätzen Wechsel- Nähe-Typen eine eher persönliche Atmosphäre. Sie brauchen Wertschätzung und den Dialog auf Augenhöhe, um die beste Leistung bringen zu können. Sie interessieren sich für andere und deren Leben und stellen entsprechende Fragen.

Es kann auch sein, dass man sich in bestimmten Situationen entschließt, ein einzelnes Mannschaftsmitglied die Hauptrolle spielen zu lassen.

In der effektiven Kommunikation und der Persönlichkeitsentwicklung ist dieses Modell, insbesondere für Führungskräfte, ein nützliches Werkzeug.

Die verschiedenen Persönlichkeitsbedürfnisse unserer Arbeitskollegen und Teammitglieder zu verstehen und unseren Kommunikationsstil entsprechend anzupassen kann dazu führen, bessere Ergebnisse zu erzielen, genauso wie eine angenehmere Teamatmosphäre und erhöhte Motivation.

Führungskräfte können anhand dieses Modells erkennen, wo ihr Persönlichkeitstyp liegt und in welche Richtung sie sich entwickeln sollen. Da Führungskräfte für eine Vielzahl von Aufgaben zuständig sind, ist es wichtig den Spielraum für die verschiedenen Mitglieder des Teams zu erkennen und diese entsprechend zu nutzen.

Im Beispiel von Steffen: Verstünde seine erste Chefin das Modell, hätte sie Steffens Bedürfnis nach Nähe erkennen und darauf reagieren können.

Fazit

Die Bedürfnisse eines jeden Menschen nach Nähe, Distanz, Dauer und Wechsel sind nicht statisch, sondern relativ. Deswegen ist es nicht zielführend einmal eine für die Person passende Umgebung herzustellen und es dabei zu belassen. Nur im konstanten Austausch mit allen Beteiligten und mit ehrlicher Reflexion der eigenen Gefühle und Wünsche kann es gelingen sich stetig auf neue Menschen, Situationen und Änderungen einzustellen und sich somit dauerhaft wohlzufühlen.

commma Personalberatung bietet Coachings für Teams und Individuen, welche den gesamten Prozess begleiten. Zudem lehrt commma die Skills, die notwendig sind, um in Zukunft ganz selbstständig mit den richtigen Methoden und Strategien schwierige Situationen mit Kollegen, Mitarbeitern und Kunden zu lösen und sowohl sich selbst, wie auch das eigene Team weiterzuentwickeln.

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Die Autorin

Ursula Franke Psychologin Moderatorin Coach

Ursula Franke

ist Diplom-Psychologin, Geschäftsführerin und Mediatorin und unterstützt seit über 25 Jahren Kunden bei den Herausforderungen in der Personalentwicklung. Sie ergündet sorgfältig den Kern eines Menschen und weiß, was Begegnung, Vertrauen und Tiefe nachhaltig bewirken können. Ihre Erfahrungen gehen von kleinen Unternehmen bis zu höchsten Führungsebenen in Konzernen.