Vergebung ist gesund

Warum ist Vergeben gesund?

Was hat Vergebung mit Gesundheit zu tun?

Früher oder später passiert es jedem. Keiner kann sich davor schützen, von anderen verletzt zu werden. Dann laufen wir urplötzlich mit unseren Bedürfnissen ins Leere und straucheln. Meist trifft uns eine Verletzung überraschend und viele spüren körperlich, dass sich etwas im Inneren verkrampft. Oft bleibt ein Schatten zurück. Wie können wir besser damit umgehen? – Vergeben. 

Verhärtung macht krank

Negative Gefühle machen die Seele und den Körper krank. Wenn es gelingt zu vergeben, negative Empfindungen wie Verärgerung, Verletztheit oder auch Scham loszulassen, hört es endlich auf, im Innern zu nagen. Untersuchungen belegen, wie gesundheitsfördernd es ist, vergeben zu können, weil man innerlich wieder ins Gleichgewicht kommt.

Loren Toussaint hat 2014 untersucht, dass Menschen, die sich selbst und anderen vergeben können, die negativen Wechselwirkungen zwischen Stress und Krankheiten deutlich senken. Es konnten die positiven Auswirkungen einer zufriedenen und ausgeglichenen Haltung nachgewiesen werden auf das Immunsystem, die Scheidungsraten[i] und auch auf Kriminalität.[ii] Wem es dagegen schwer fällt zu vergeben, besitzt nicht dieselbe Stressresistenz, da ihm ein emotionaler Puffer fehlt. Er reagiert dünnhäutiger und jede neue Anforderung erhöht messbar die körperlichen Stressmarker. Anhaltende Wut kann den „Fight-or-Flight“ Modus auslösen und sich negativ auf Herzfrequenz, Blutdruck und das Immunsystem auswirken.[iii]

Wir erzählen uns, was wir glauben.

Menschen haben schon immer ihre Kultur durch das Erzählen von Geschichten etabliert. Sie tradieren sie durch ihre Geschichten in den Unternehmen, den Familien und auch in jedem Selbst. Wir erzählen uns und den Kollegen, warum wir beim letzten Arbeitgeber gar nicht anders konnten, als zu gehen („der Chef war ein Choleriker“); wir erzählen im Freundeskreis, warum die Beziehung auseinander ging („sie hing einfach viel zu stark an ihrem Vater“) und wir erzählen über uns, warum wir keine überzeugende Präsentation im Meeting halten („ich konnte noch nie vor anderen sprechen“). Hinter unseren Erzählungen stehen meist einzelne negative Erlebnisse.

Selbst wenn man sich lösen will, gelingt das nur schwer. Das liegt unter anderem am gut untersuchten Effekt, dass negative Erlebnisse stärker haften bleiben und sich schneller vom Kontext lösen, als das bei positiven Erlebnissen der Fall ist.[iv] Mit anderen Worten: mit negativen Erlebnissen beschäftigen wir uns länger und sie gewinnen rasch eine Art Allgemeingültigkeit. Gehirn und Selbstbild suchen nach Optionen, das Erlebte zu erklären und sich gleichzeitig dabei zu schützen. Dabei entwickeln wir unsere ganz persönlichen Kummergeschichten.

Kummergeschichten

Mit jedem neuen Erzählen einer Kummergeschichte wird das Erlebte noch einmal erinnert, es wird sogar bunter, die Charaktere ausgeprägter und die Gefühle intensiver – und so wird die Geschichte nach und nach zu einem Teil von uns selbst.

Frederic Luskin bezeichnet dies als „Füttern und Pflegen unserer Beschwerden“, die den Schmerz allerdings nur fortschreiben, solange wir nicht bereit sind zu vergeben. Beim Erzählen einer Kummergeschichte schüttet das Gehirn jedes Mal aufs Neue Stresshormone aus, die Kraft kosten und uns daran hindern, uns frei und neugierig neuen Aufgaben zu stellen. Die Auswirkungen von Dauerstress auf Psyche und Gesundheit sind hinlänglich bekannt., Robert Enrigth spricht von einer regelrechten Kummerspirale, in die wir hineinkommen können und in der wir uns verfangen können. [v]Vergebung ist für Luskin verbunden mit einem „No“, also mit der Ablehnung des eigenen Wunsches nach Vergeltung.[vi]

Wie kann ich meine negativen Emotionen loslassen?

Schmerz oder Schock, die wir durch andere erfahren, sind zunächst nicht einfach zu verarbeiten. Selbst wenn wir vergeben wollen, gelingt es nicht leicht und beim nächsten Auslöser ist die ganze Palette negativer Gefühle wieder da. Zu groß ist der Wunsch zu vergelten, was uns widerfahren ist. Wir wollen einfach nur Recht bekommen und den bestraft sehen, der uns so schlecht behandelt hat.

Man kann jedoch Strategien entwickeln, um besser damit umzugehen und mehr Souveränität im Umgang mit verletzenden Situationen zu erreichen. Jeder kann selbst entscheiden, wie viel und welchen Einfluss die Handlungen anderer auf uns nehmen. Anfängliche Trotzreaktionen oder Wut sind natürlich. Aber Forderungen wie „Der soll sich erst mal bei mir entschuldigen“ funktionieren nicht. Wir können nur bei uns selbst anfangen und uns von einer unnötig kräftezehrenden Fokussierung lösen. Der Weg geht in dem Fall über das Herz in den Bauch und dann erst in den Kopf.

  1. Ich lerne zu akzeptieren, was ich nicht ändern und beeinflussen kann. (Herz)
  2. Ich stelle mich meinen Verletzungen und akzeptiere meine Gefühle. (Bauch)
  3. Ich finde einen neuen Weg zu handeln. (Kopf).

Diese Methode ist vor allem ein Weg, das Nachtragen zu vermeiden. Man erreicht innere Akzeptanz, kann negative Gefühle loslassen und danach reflektiert andere Schritte tun. Vergebung bezieht sich sowohl auf andere als auch auf uns selbst.

Sie haben Ihr Steuerrad in der Hand

Jammern und Klagen bedeuten, dass ich dem „Angeklagten“ oder der beklagten Situation eine gewisse Macht über mich und mein Erleben gebe. Immer wieder und bei jedem Erzählen aufs Neue, sobald ich die Erinnerung aufleben lasse und in die verletzende Situation emotional eintauche. In dem Moment bin ich mit der Situation und meinem Erleben vollständig assoziiert – es beherrscht mich.

Wie funktioniert vergeben?

Auf dem Weg der Dissoziation, also der Loslösung können verschiedene Techniken hilfreich sein wie beispielsweise das Malen eines Bildes, das Aufschreiben (z.B. als Tagebuch oder als Brief, der aber nicht abgeschickt werden soll), das bewusste Aussprechen der dahinterliegenden Bedürfnisse, eine Aufstellung im Raum etc. Wenn man Abstand zur eigenen Geschichte bekommt, erkennt man, wie sehr die Erlebnisse einen gefangen halten und wie sinnlos das Anklagen und Beschuldigen eigentlich ist. Das kann die nötige Motivation wecken, aus der Kummergeschichte auszusteigen.

In vier Phasen Vergeben

Auf den amerikanischen Psychologen Robert Enright geht das folgende Vergebungsprozessmodell zurück, das in vier Phasen unterteilt ist:

  1. Die „Aufdeckungsphase“, in der man sich des emotionalen Stresses bewusst wird, den man erlitten hat; dazu ist in der Regel die Begleitung durch einen Coach oder Mentor hilfreich.
  2. Die „Entscheidungsphase“, in der man sich verpflichtet zu vergeben, anstatt sich weiterhin ausschließlich auf sein Leiden zu konzentrieren; Hilfreich ist es, wenn man darüber mit anderen spricht und dadurch seine Entscheidung verankert.
  3. Die „Arbeitsphase“, in der man den erlittenen Schmerz, egal wie unverdient, akzeptiert – aber nicht gutheißt;
  4. Und schließlich die „Ergebnis- / Vertiefungsphase“, in der man die Erleichterung und Bedeutung erkennt, die man durch Vergebung erlangt.[vii]

Mit einem hawaiianischen Ritual vergeben

Eine anderes, traditionelles Vergebungsritual stammt aus Hawaii und wird als Ho’oponopono bezeichnet. Es hat laut Überlieferung in den Stämmen dazu gedient, Konflikte öffentlich beizulegen. Das Ritual nennt ebenfalls vier Schritte, die mit vier Sätzen markiert sind:

  1. Es tut mir leid.
  2. Bitte verzeih mir.
  3. Ich liebe Dich.
  4. Danke

Über das Ritual wird die Fähigkeit trainiert, Mitgefühl zu entwickeln – egal ob mit anderen oder mit sich selbst. In der Literatur finden sich viele moderne Varianten.[viii]

Veränderung geht über das Trauern

Vergebung kann erreicht werden, wenn man bereit ist, sich auf den Prozess des Trauerns einzulassen. Luskin bezeichnet Vergebung als einen Prozessschritt der Trauerarbeit mit den Schritten:

  1. Innere Klarheit über das Erlebte zu erlangen und über die Gefühle, die ausgelöst worden sind, (z.B. über die Wut, zurückgewiesen worden zu sein)
  2. Die Relevanz der Gefühle im Lichte der eigenen Biographie einzuordnen und wohlwollend zu akzeptieren, (z.B. durch das Zulassen der Trauer über die Zurückweisung)
  3. Die Entscheidung zu treffen, nicht mehr nachtragend zu sein und diese Entscheidung mit anderen offen mit vertrauten Personen zu teilen. [ix]

Was hindert uns daran zu vergeben?

Der Prozess der Vergebung ist sowohl schmerzhaft als auch erfüllend zugleich. Mit der Zeit wird man sich als gereiftere und weiterentwickelte Persönlichkeit wahrnehmen können. Die Dauer des Prozesses spielt dabei keine Rolle – sobald man sich darauf einlässt, beginnt man erste Gewinne zu verzeichnen. Und auch wenn der Prozess nicht immer geradlinig verläuft, man vielleicht sogar ab und zu einen Rückschlag erlebt, das alles ist Teil der Verarbeitung. Jeder erreicht die Vergebung zu seiner Zeit.

Eine beratende und unterstützende Begleitung durch einen psychologisch oder therapeutisch geschulten Coach kann helfen, die Schritte erfolgreich zu gehen. Der Prozess der Vergebung kann jedoch nur in jedem selbst stattfinden. Ein Schmerz muss akzeptiert und eingeordnet werden, bevor er losgelassen werden kann.

Quellen


[i] Vgl.  https://www.huffpost.com/entry/overcoming-infidelity_n_5207684

[ii] Vgl. J Behav Med. 2012 Aug;35(4):375-86. doi: 10.1007/s10865-011-9362-4. Epub 2011 Jun 25.

[iii] Vgl. https://www.inc.com/justin-bariso/why-forgiving-others-is-great-for-your-health-according-to-science.html und Vgl. Toussaint, Loren (2014): „Effects of lifetime stress exposure on mental and physical health in young adulthood: How stress degrades and forgiveness protects health“ Journal of Health Psychology 1-1 (Quelle: DOI: 10.1177/1359105314544132)

[iv] Vgl. James A. Bisby, Aidan J. Horner, Lone D. Hørlyck, Neil Burgess: „Opposing effects of negative emotion on amygdalar and hippocampal memory for items and associations“, Social Cognitive and Affective Neuroscience, Volume 11, Issue 6, June 2016, Pages 981–990, Quelle: https://doi.org/10.1093/scan/nsw028)

[v] Vgl. Enright, Robert D. (2001): „Forgiveness Is a Choice: A Step-by-Step Process for Resolving Anger and Restoring Hope“ APA LifeTools; Auflage: 1 (Quelle: https://www.apa.org/pubs/books/4441034?tab=1)

[vi] Vgl.: Luskin, Frederic (2010) „What is Forgiveness?“ Interview, Quelle: https://greatergood.berkeley.edu/article/item/what_is_forgiveness

[vii] Vgl. Enright, Robert D. (2001): „Forgiveness Is a Choice: A Step-by-Step Process for Resolving Anger and Restoring Hope“ APA LifeTools; Auflage: 1 (Quelle: https://www.apa.org/pubs/books/4441034?tab=1)

[viii]  Vgl. Duprée, Ulrich Emil (2011): „Ho’oponopono. Das hawaiianische Vergebungsritual“ Schirner Verlag, Darmstadt

[ix] Vgl.: Luskin, Frederic (2010) „What is Forgiveness?“ Interview, Quelle: https://greatergood.berkeley.edu/article/item/what_is_forgiveness

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Die Autorin

Ursula Franke Psychologin Moderatorin Coach

Ursula Franke

ist Diplom-Psychologin, Geschäftsführerin und Mediatorin und unterstützt seit über 25 Jahren Kunden bei den Herausforderungen in der Personalentwicklung. Sie ergündet sorgfältig den Kern eines Menschen und weiß, was Begegnung, Vertrauen und Tiefe nachhaltig bewirken können. Ihre Erfahrungen gehen von kleinen Unternehmen bis zu höchsten Führungsebenen in Konzernen.