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Bild: unsplash.com | Tanner Larson

Psychologie der Transformation Teil 2: Was passiert, wenn es losgeht?

Was in Teil 1 geschah:

David, ein aufmerksamer, engagierter und gut vernetzter Kollege, hat in Gesprächen mit Kolleg*innen gemerkt, dass viele mit Homeoffice nicht gut zurechtkommen. Es fehlt der Austausch und der direkte Kontakt, manchen nur ein bisschen, anderen dafür sehr stark. Und da hatte David eine Idee, wie er dem unguten Gefühl etwas entgegensetzen kann: Er hat seinem Chef vorgeschlagen, dass er einmal in der Woche 30 Minuten Teamzeit für den Austausch bekommt. Es war nicht ganz einfach, den Chef zu überzeugen, für dieses „weiche“ Thema regelmäßig die Zeit zu investieren, aber David hatte sich gut vorbereitet und am Ende hat der Chef einer Probephase von 12 Wochen zugestimmt. Zudem hatte David von sich aus einen WOL-Circle (Working out Loud) ins Leben gerufen, um selbst während des Vorhabens Unterstützung zu bekommen.

David steht also in den Startlöchern. Heute wird er seine Idee offiziell vorstellen. Er ist ein kleines bisschen aufgeregt, aber als ihn seine Kollegin Nadine danach fragt, sagt er lässig: „Hey, es kann doch nichts passieren!“

Leider täuscht sich David da gehörig.

Es passiert immer eine ganze Menge!

Aber der Reihe nach: David kommt also im Meeting zügig zum Punkt. Er leitet seinen Vorschlag von der Ausgangslage ab und bittet darum, sich auf das 12-Wochen-Experiment einzulassen.

„Aaaalso,“ meldet sich die Stimme eines Kollegen „ich finde, das mit dem Homeoffice klappt doch eigentlich ganz gut, oder?“, ein zweiter fragt: „Sollten wir die Zeit im Meeting nicht für die wirklich wichtigen Themen nutzen?“ und ein dritter fügt hinzu: „Probleme im HomeOffice bespreche ich eigentlich lieber mit meiner Frau.“

Bähm! David traut seinen Ohren kaum. Wo waren die, die ihm zuvor im Zweier-Gespräch gestanden hatten, dass es im Homeoffice oft richtig sch… ist? Warum meldete sich jetzt keiner von ihnen? Nicht einmal Nadine springt ihm zur Seite….

Ungeduldig und frustriert reagiert er auf die nächste kritische Nachfrage: „Also, wenn Ihr nicht wollt, dann lassen wir das Ganze eben wieder sein. Ihr müsst es mir nur sagen … Der gereizte Ton Davids fördert den Widerstand, es verhärten sich die Positionen („Wir haben echt keine Zeit für Kindergartenkram“), die Sache wird anstrengend. David ist ziemlich sauer.

Was war passiert?

Wenn Veränderungen anstehen, sind immer Emotionen im Spiel. Oft werden sie viel zu wenig beachtet und nicht ernst genommen. Dabei gibt es einen hilfreichen Leitfaden, um die Gefühle in der Veränderung im Auge zu behalten. Denn die emotionalen Reaktionen in Change-Prozessen folgen einem immer gleichen Muster.

Die Veränderungskurve erklärt den emotionalen Prozess des Wandels in mehreren Phasen (vgl. Grafik „Phasen der Transformation“).

Die Phasen der Transformation

Phasen_einer_Krise


Phase 1: Schock/Schreck

Sofort nach der Bekanntgabe des kritischen Ereignisses, hier: Davids Vorschlag bzgl. der Teamagenda, kommt Schock oder Schreck auf: „Wie konnte solch ein Vorschlag ausgearbeitet werden?“ „Was soll das Ganze?“ Das Engagement sinkt rapide, weil man erst einmal nichts tut.

Je besser und ausführlicher die Informationen zur neuen Situation sind, desto schwächer fällt die Schockphase aus. Deshalb gehört zu einer verantwortlichen Veränderungsbegleitung eine gute Informationspolitik.

Begleitung

David hätte neben der sehr guten Herleitung seiner Idee auch Beispiele zur konkreten Umsetzung liefern können. Er hätte zeigen können, dass es für schwierige Elemente, z.B. für die Formulierung der eigenen Befindlichkeit, Hilfsmittel geben wird (z.B. MoodMeter)

Zum Glück wusste eine Kollegin aus Davids WOL-Circle von der Veränderungskurve und hat ihn mit Infos und Tipps versorgt. Und David wäre nicht David, wenn er sich vom etwas missglückten Start davon abhalten ließe, sein Vorhaben weiter zu verfolgen. Also: weiter geht’s!

Phase 2: Widerstand / Verneinung

Doch selbst mit einer sehr guten Information hätte David nicht ganz verhindern können, dass sich Widerstand regt. Die Kurve zeigt, dass das Engagement wieder steigt und in Phase 2 sogar über dem Ausgangsniveau liegt. Wie das? Die Betroffenen glauben, das neue System noch aufhalten zu können. Dasf Engagement geht hoch, doch leider in die „falsche“ Richtung.

In dieser Phase werden häufig Vorteile des Bisherigen („Es läuft doch inzwischen mit Teams richtig gut.“) mit Nachteilen des Neuen verglichen („Wir verplempern mit der David-Runde kostbare Zeit, die uns in den Projekten fehlt.“)

Dabei spielt es keine Rolle, wie gut man zuvor das Alte geheißen hat, es findet eine Art „Verklärung“ des Bisherigen statt.

Begleitung

Verantwortliche müssen bereit sein, sich den negativen Emotionen zu stellen und zeigen, dass sie die Sorgen ernst nehmen. Man sollte hohe Gesprächsbereitschaft signalisieren, d.h. reden, reden, reden – und zuhören!

David reagiert also ab sofort mit echtem Verständnis auf die Zweifel und den unterschwelligen Widerstand der Kolleg*innen. Und er postet regelmäßig kleine positive Rückmeldungen im gemeinsamen Teams-Kanal, um den Prozessfortgang zu unterstützen.

2a: Einsicht

Im guten Fall macht sich trotz des Widerstandes nach und nach die Einsicht breit, dass das neue System kommen wird und eine Beschäftigung damit erforderlich ist.

Die Einsicht ist mit dem Gefühl der Unsicherheit verbunden, weil man noch nicht weiß, wie man im neuen System erfolgreich sein kann.

Daher das sinkende Engagement (s. Grafik)

Begleitung

Noch muss David sich also damit zufriedengeben, dass er von einigen zwar gesagt bekommt: „Stimmt schon, man braucht auch Zeit für Themen außerhalb der Technik“ – die echte Beteiligung in den Runden aber immer noch nieder ist. Zum Glück gibt es Nadine, die David auf kleine Erfolge hinweist: „Hast Du gemerkt, dass sich Martin gestern sehr gut auf die Runde vorbereitet hatte? Offenbar war es ihm wichtig, dass er von sich berichten kann.“

Phase 3: Akzeptanz

Der tiefste Punkt des Engagements aber liegt in der Phase ‘Akzeptanz’. Es wird die Realität und die Andersartigkeit der neuen Situation schließlich voll akzeptiert. Damit ist auch eine realistische Einschätzung der eigenen Inkompetenz verbunden, daher so wenig Einsatz.

Der Prozess von Einsicht und Akzeptanz beinhaltet das innere Loslassen des Bisherigen und damit der eigenen Sicherheit im alten System.

Dies ist meist kein angenehmer Vorgang, weshalb dieser Abschnitt auch als das Tal der Tränen bezeichnet wird.

Begleitung

Die Beteiligten profitieren von einem Veränderungsbegleiter, der sich auf das Aktive Zuhören versteht. In dieser Phase ist nicht mehr die aktive Werbung für das System gefragt, sondern ein ruhiges, erlaubendes Mitgehen. Ist die Akzeptanzphase erreicht, tritt eine Wende ein und die Betroffenen blicken erstmals (!) nach vorne.

Phase 4: Ausprobieren

Das Tal ist überwunden und je mehr Freiraum existiert, desto schneller steigt die Kurve des Engagements in der Phase ‘Ausprobieren’ wieder an.

David wiederholt sein Angebot, dass er für Fragen zur Verfügung steht. Doch es geht ab jetzt vor allem um Fragen der Umsetzung und der Weiterentwicklung. Also Themen, die die online-Zusammenarbeit stärken.

David ist erfreut, als ein Kollege fragt, ob er beim nächsten Mal ein eigenes Bild zeigen kann? Er hätte da eines an seinem Schreibtisch, das gut ausdrücken würde, wie es ihm oft geht. Klar kann er! Doch richtig überrascht ist David, als er erfährt, dass eine Projektgruppe sich dazu entschlossen hat, eine ähnliche Runde in ihren Meetings einzuführen. WOW!

Begleitung

In Woche 11 stellt der Chef die Frage, wie das Team zukünftig mit der David-Runde umgehen möchte? Zuerst wieder Schweigen … ooops? David hält den Atem an.

Dann tönt der Teamälteste: „Das machen wir jetzt mal schön weiter. War schließlich schwer genug gewesen, uns dazu zu bringen. Ach, David: Danke übrigens. – die Idee war doch gar nicht so schlecht!“ Die vielen grinsenden Gesichter auf dem Monitor lassen David aufatmen. „…gar nicht so schlecht“ – er wird sich wohl nie ganz an dieses schwäbische Lob gewöhnen.

Ohne es zu merken, ist das Team in Phase 5 angekommen.

Phase 5: Integration

 

Das neue System wird nun nicht mehr als neu empfunden. Man unterscheidet nicht mehr zwischen ‘vorher’ und ‘nachher’. In dieser Phase gelangen Teams und Organisationen zur Reife und werden als positive Multiplikatoren für die angestrebte Veränderung wirksam.

Besonders erfolgreiche Personen oder Teams suchen schon längst wieder nach neuen Herausforderungen, die einen Einstieg in Phase 1 des Veränderungsprozesses bedeuten.

Danke, David, für deinen Mut und alles Gute für Deine nächsten Change-Projekte!

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Die Autorin

Ursula Franke Psychologin Moderatorin Coach

Ursula Franke

ist Diplom-Psychologin, Geschäftsführerin und Mediatorin und unterstützt seit über 25 Jahren Kunden bei den Herausforderungen in der Personalentwicklung. Sie ergündet sorgfältig den Kern eines Menschen und weiß, was Begegnung, Vertrauen und Tiefe nachhaltig bewirken können. Ihre Erfahrungen gehen von kleinen Unternehmen bis zu höchsten Führungsebenen in Konzernen.